THREE CHEERS FOR HANS-RUDOLF MERZ

Von Andreas K. Winterberger

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Die FDP-Fraktion hat am Mittwochabend ihr offizielles Zweierticket für die Nachfolge von Bundesrat Kaspar Villiger besetzt: Im 6. Wahlgang wurde der Ausserrhoder Ständerat Hans-Rudolf Merz sowie im 7. Wahlgang die abtretende Berner Ständerätin Christine Beerli gewählt. Damit ist die Ausgangslage für die Bundesratswahlen vom 10. Dezember 2003 zumindest aus freisinniger Sicht geklärt: Die FDP erhebt weiterhin Anspruch auf zwei Bundesratssitze, ein Anspruch, der ihr aufgrund der nunmehr endgültig von den Wählerinnen und Wählern bestimmten arithmetischen Stärkeverhältnisse zwischen den Parteien im National- und Ständerat zusteht (die neue arithmetische "Zauberformel" für den Bundesrat lautet danach eindeutig 2 FDP-, 2 SPS-, neu 2 SVP-Bundesratssitze sowie nur noch 1 CVP-Bundesratssitz).

Es ist als ein taktisch kluger Schachzug der FDP zu werten, dass sie die Sirenenklänge des - bis zum heutigen Zeitpunkt nach wie vor einzigen neu antretenden offiziellen - SVP-Bundesratskandidaten Christoph Blocher mit Missachtung bestrafte und ihren von der CVP in Frage gestellten zweiten Bundesratssitz nicht mit einer Einer-, sondern mit einer Doppelkandidatur, die durch eine - linksliberale - Frau und einen - rechtsliberalen - Mann repräsentiert wird, verteidigen wird. Damit kann die Vereinigte Bundesversammlung zwischen zwei Kandidaten der beiden wichtigsten freisinnigen Strömungen die Wahl treffen.

Wir haben uns bereits am 7. November (siehe den letzten Abschnitt des "WeWo"-Leserbriefs auf dieser Website) mit Entschiedenheit öffentlich für die Wahl von Hans-Rudolf Merz in den Bundesrat eingesetzt und die Gründe hierfür kurz erläutert. Wir haben - bei aller Bescheidenheit - berechtigten Grund zur Annahme, dass dieser in der "Weltwoche" nie veröffentlichte Leserbrief - neben der Kolumne von Max Frenkel ("NZZ am Sonntag" vom 23.11.2003) - eine eigendynamische Wirkung zuerst in der Redaktion dieser Zeitung (siehe Einleitung) und zeitgleich bzw. zeitverzögert unter freisinnigen Parlamentarierinnen und Parlamentariern (Zirkulierung als e-mail; Lektüre des Artikels von Urs Paul Engeler) entfaltete und damit einer von mehreren Gründen war, dass Hans-Rudolf Merz rasch die Pole Position übernehmen konnte.

Unseres Erachtens sprechen eine Vielzahl von Gründen für die Wahl von Hans-Rudolf Merz in den Bundesrat. Lediglich drei dieser Gründe möchten wir an dieser Stelle hervorheben:

ERSTENS die herausragende und kantige Persönlichkeit des Appenzeller Ständerats, der sämtliche Bundeshaus-Kolleginnen und -Kollegen in allen Räten und Parteien aufgrund seiner Fachkompetenz (er gilt zu Recht als bester - und eiserner - Finanz- und Wirtschaftspolitiker in Bern, als exzellenter Aussen- und Verteidigungspolitiker), seiner vielseitigen unternehmerischen Führungserfahrung, seines hoch entwickelten analytischen und strategischen Denkens, seiner Zivilcourage und seiner Bodenhaftung - er "schaut dem Volk aufs Maul" (Martin Luther), doch redet er im Unterschied etwa zu Christoph Blocher und vielen anderen "rabble rousers, jackasses, mountebanks and/or scoundrels" (H.L. Mencken), d.h. Populisten zur Rechten und zur Linken, nicht dem Volk nach dem Mund - überragt. Kurzum: Er hat Sinn für "Mass und Mitte" (Wilhelm Röpke) in der Politik wie im beruflichen und persönlichen Leben und ist im Unterschied zur amtierenden Schweizer Aussenministerin Frau Micheline Calmy-Rey (SPS) kein Repräsentant der "Gesinnungs-", sondern der "Verantwortungsethik" (Max Weber). Aufgrund seiner öffentlichen Auftritte etwa in der "Arena" geniesst er mittlerweile in allen Bevölkerungsschichten der Deutschschweiz, nicht nur bei den Appenzellerinnen und Appenzeller, die ihn persönlich dank der Kleinräumigkeit ihrer Heimat seit vielen Jahren kennen, hohes Vertrauen. Kurzum: Hans-Rudolf Merz verfügt über alle denkbaren Voraussetzungen zum idealen Landesvater, womit er im Falle einer Wahl an beste freisinnige Zeiten, die im Zeichen von Persönlichkeiten wie Hans Schaffner oder Nello Celio standen, anknüpfen könnte.

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ZWEITENS braucht die Schweiz angesichts des seit Jahren festzustellenden schleichenden wirtschaftlichen Niedergangs eine Landesregierung aus starken, d.h. kantigen und glaubwürdigen sowie kompetenten Persönlichkeiten, Männer und Frauen, die die Fehlentwicklungen der letzten Jahrzehnte (nach wie vor weiter ansteigende Staatsverschuldung auf hohem Niveau; kontinuierlich ansteigender Steuerdruck; kontinuierlich ansteigende Staatsquote; weiterhin ansteigende Ausgaben im Sozial- und Gesundheitsbereich unter Missachtung der wirtschaftlichen bzw. demographischen Nachhaltigkeit; nach wie vor anhaltende Gesetzesinflation zulasten der persönlichen Freiheit und Eigen-/Mitverantwortung des Individuums als Bürger, als Unternehmer, als Arbeitnehmer, als Konsument etc.; nach wie vor Verzicht auf eine nachhaltige, d.h. wirtschaftlich, sozial und staatspolitisch langfristig zu verantwortende Asyl-, Verkehrs-, Umwelt-, Verteidigungs-, und Aussenpolitik etc.; nach wie vor Verzicht auf die Erstellung einer Prioritätenordnung bei den öffentlichen Ausgaben von Bund, Kantonen und Gemeinden) Schritt für Schritt korrigieren, indem sie zuvor die Voraussetzungen für die Akzeptanz im Volk und im Parlament für die hierfür erforderlichen, längst überfälligen, nicht länger aufschiebbaren tiefgreifenden Reformen bewirken. Diese Persönlichkeiten müssen daher gewichtige Voraussetzungen wie Kollegialitäts- und Konkordanztauglichkeit erfüllen, zudem aber auch in ordnungs-, übergeordneten staats- (dass ein Libertärer diesen Punkt hervorhebt, mag erstaunen, doch ist er stets auch ein freier Bürger dieses Landes und politischer Realist!) und nicht primär in engen parteipolitischen Kategorien denken.
Hans-Rudolf Merz erfüllt alle diese Anforderungen mit frappanter Leichtigkeit. Wer sonst?

EINE ANMERKUNG AN DIE ADRESSE DER CVP: Einst bestimmten Freisinnige wie Hans Schaffner sowie Katholisch Konservative wie Ludwig von Moos gemeinsam die Grundlinien der Innenpolitik dieses Landes zum Vorteil aller Bürgerinnen und Bürger: Mit einem geeigneten Christdemokraten oder einer geeigneten Christdemokratin, ich denke etwa an den früheren Schwyzer Regierungsrat Franz Marty oder an den heutigen CVP-Parteipräsidenten, Ständerat Philipp Stähelin, könnte durchaus auch im Jahre 2003 an diese guten alten Bundesratszeiten selbst mit nunmehr bloss einem CVP-Bundesratssitz angeknüpft werden. Allerdings setzt dies eine Beendigung der politischen Geisterfahrt, eine Rückkehr zur politischen Bodenhaftung und zu bewährten, teils sanft reformierten liberalkonservativen Prinzipien der Staatsführung voraus, die einst eine Stärke der Katholisch Konservativen war. Dass auf diese Weise gar Wahlen gewonnen bzw. ehemalige - enttäuschte - Wählerinnen und Wähler zurückgewonnen werden können, müsste eigentlich der heutige CVP-Parteipräsident, Ständerat Dr. Philipp Stähelin (Thurgau), durch eigene langjährige politische Erfahrungen auf allen polischen Ebenen am besten wissen. Stähelin war bis zu seinem Rücktritt vor wenigen Jahren ein exzellenter und in gesundheitspolitischen Fragen auch für Schweizer Verhältnisse geradezu innovativer Thurgauer Regierungsrat, der bis heute den Rat herausragender neoliberaler Gesundheitsökonomen wie Prof. Dr. Jürg Sommer (Universität Basel) konsultiert.

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DRITTENS ist Hans-Rudolf Merz zwar kein Libertärer, doch ist er unzweifelhaft nicht zuletzt aufgrund seiner Persönlichkeitsstruktur ein echter Freisinniger im ursprünglichen Sinne dieses Wortes mit festen liberalen Prinzipien, die sein bisheriges politisches Wirken stets - und durchaus mit Erfolg! - geleitet haben. Wirtschafts- und sozialpolitisch denkt und handelt der politische Praktiker Merz in ordnungspolitischen Kategorien - er ist ein Ordo- oder Neoliberaler in den Traditionen von Walter Eucken, Franz Böhm, Friedrich A. von Hayek, Wilhelm Röpke und Ludwig Erhard. Gesellschaftspolitisch denkt und handelt der Appenzeller Ständerat ebenfalls grossmehrheitlich liberal (Fristenlösung, Entkriminalisierung des Drogenkonsums etc.), sein Wertkonservatismus, zu dem er sich bekennt, ist eindeutig freiheitlich grundiert (Bewahrung von Werten wie persönliche, gesellschaftliche und wirtschaftliche Freiheit/en in Eigen- und freiwilliger Mitverantwortung, Sinn für eine historisch gewachsene Gemeinschaft, die wie im Falle der Schweiz aus einer Vielzahl von Minderheiten und diese aus Individuen, Familien und frei gebildeten Gruppen von Individuen bestehen). Kurzum: Merz verkörpert - freiwilligen - Gemeinsinn und Freisinn in Persona.

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FAZIT: Wir sind der festen Überzeugung, dass Hans-Rudolf Merz nicht zuletzt aufgrund seines Leistungsausweises alle Voraussetzungen für ein überzeugendes und erfolgreiches Wirken im Bundesrat erfüllt. Wie viele seiner Appenzeller Landsleute ist auch der Herisauer eigenwillig und folglich als Spielball irgendwelcher organisierter Sonderinteressen denkbar ungeeignet. Die genannten drei Gründe für die Wahl von Merz sind bei beiden Szenarien, Wahl oder Nichtwahl des SVP-Bundesratskandidaten Nationalrat Dr. Christoph Blocher, stichhaltig. Wird Christoph Blocher gewählt, braucht es einen starken freisinnigen Gegenpart. Der erneut antretende Bundesrat Pascal Couchepin ist spätestens seit dem 19. November 2003 eine "lame duck" (H. L. Mencken) und spätestens in drei Jahren, wenn nicht bereits - mit Vorteil! - am 10. Dezember 2003 (das timing wäre angesichts der gegenwärtigen politischen Konstellation geradezu ideal für eine umfassende Rochade mit neuen Köpfen) reif zur Ablösung durch eine freisinnige Politikerin. Sollte dieser Fall eintreten, müsste der Kreis der freisinnigen Kandidatinnen erweitert werden: Ich denke beispielsweise an die St. Galler Regierungsrätin Karin Keller-Sutter.

Mit anderen Worten: Dies ist in jedem Fall nicht die Stunde der langjährigen freisinnigen Fraktionschefin Christine Beerli, die wesentliche Mitverantwortung für das langjährige freisinnige Malaise trägt (schleichende Sozialdemokratisierung bzw. wattenweicher etatistischer Kleptokratismus nach bernischem Vorbild; Filzokratismus als logische Konsequenz eines zunehmend ausufernden Staatsinterventionismus).

Wird Christoph Blocher nicht gewählt, braucht es zumindest e i n e n freisinnigen Bundesrat, der sich nicht wie ein französischer Präfekt mit Napoléon-Allüren und wenig Sinn für Kollegialität, Konkordanz sowie unterdurchschnittlich entwickelter Sensibilität gegenüber den Sorgen und Nöten der Bürgerinnen und Bürger zwar medienwirksam, aber völlig daneben benimmt und unberechenbar, da orientierungslos zwischen verwässerten neoliberalen und etatistischen Rezepten (Wirtschafts- und Gesundheits-/ Sozialpolitik) hin- und herschwankt. Es braucht zumindest e i n e n freisinnigen Bundesrat, der mit klarem Kompass eine liberale Wende in Wirtschaft, Gesellschaft und Staat im Interesse aller sozialen Schichten und aller Bürgerinnen und Bürger mit Überzeugungskraft gegenüber seinen Kolleginnen und Kollegen, gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern anpeilt, der an eine stolze freiheitliche Tradition anzuknüpfen weiss, die der Schweiz seit 1848 eine Erfolgsgeschichte ohnegleichen bescherte, deren Grundlagen mittlerweile mehr und mehr insbesondere bei der classe politique und bei der classe des journalistes in Vergessenheit zu geraten scheinen. Daher: Three Cheers for Hans-Rudolf Merz!

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PS: In der Schweiz herrscht seit Jahren zunehmend das Mittelmass. Dies war nicht immer so. Zu hoffen bleibt, dass die Mehrheit der Vereinigten Bundesversammlung, die aus solidem Mittelmass besteht, mittlerweile begriffen hat, welche Stunde für unser Land geschlagen hat. Die gegenwärtige politische Hochkonjunktur für einen zugegebenermassen nicht nur im Bereiche der Politik hochbegabten, wenn auch in der Wahl seiner Mittel tendenziell zur Skrupellosigkeit neigenden Rattenfänger wie Christoph Blocher ist nur e i n untrüglicher Beweis, dass die Zeit für blosse Symptombekämpfung endgültig abgelaufen ist - d.h. im konkreten Fall der bei der classe politique und der classe des journalistes grassierende Irrglaube, die im Volk übrigens zu Recht bestehende, wenn auch von diesem nicht tief ergründete Unzufriedenheit über den negativen Gang der Dinge durch die Wahl des Herrliberger Berlusconi in den Bundesrat zu bannen und ansonsten die Verhältnisse mehr oder weniger zu belassen, wie sie sich nun einmal in den letzten Jahrzehnten entwickelt haben, indem die Bundesräte ihren neuen ungeliebten, aber leider unvermeidlichen Kollegen ins Leere laufen lassen nach dem österreichischen Exempel von Bundeskanzler Schüssel gegenüber Jörg Haider. Christoph Blocher ist sozusagen - überspitzt gesagt - Mephistopheles und Dr. Faustus in einer Person: Man sollte seine kreativen Energien getreu den Erkenntnissen der taoistischen Philosophie zugunsten des Landes nutzen, indem diese gestärkt und seine (selbst-)zerstörerischen Neigungen geschwächt werden. Voraussetzung hierfür ist lediglich - und hierbei wiederhole ich mich! - ein Bundesrat aus kompetenten wie starken Frauen und Männern, die durch ihr den SVP-Volkstribun in der Kollegialbehörde integrierendes und nicht ausgrenzendes Zusammenwirken klare Rahmenbedingungen, eine Art selbst regulierte "spontane Ordnung" (F.A. von Hayek, Liu-Tzu), schaffen, in der alle Mitglieder ihre Talente in den ihnen von der Verfassung, den übrigen Gewalten (National- und Ständerat; Judikative; dezentrale föderalistische Gegengewalten des Bundes wie Kantone und Gemeinden; Medien) sowie dem Volk auferlegten Grenzen entfalten können. Wenn die künftige Landesregierung auf diese Weise der real stärksten Gewalt des Landes, den Bundes-, Kantons- und Gemeindeverwaltungen, deren Beamte die eherne Kontinuität der Staats(all)macht verkörpern und im Laufe ihres Berufslebens zahlreiche Bundesräte, Regierungsräte und Gemeindepräsidenten (bzw. - räte) kommen und gehen sehen, ein Schnippchen schlagen und deren Macht (Ermessensspielraum!) mit Beharrlichkeit zugunsten eines grösseren, freien, d.h. unregulierten Spielraums der Bürgerinnen und Bürger Schritt für Schritt zurückzudrängen vermögen, könnte dies der Beginn einer Trendwende einleiten, der rasches Wirtschaftswachstum nachfolgen müsste.

Dieser Kommentar wurde geschrieben am 26. November 2003, dem Tag der Wahl der beiden offiziellen
FDP-Bundesratskandidaten durch die FDP-Fraktion in Bern.

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